Wie ein U-Boot, das abtaucht
Wenn der Sport plötzlich zur Nebensache wird: Deutschlands
Torhüterin Nummer eins leidet an den Folgen des
Pfeifferschen Drüsenfiebers und muß die Karriere beenden
Manchmal tut es gut, Träume auf einem Stück Papier festzuhalten. Sie
werden dadurch nicht realer, aber man kann sie anfassen. Und das hilft in
schweren Zeiten. Und so erzählt Tine Lindemann, was sie so alles
niedergeschrieben hat. "Ich habe ein Buch, darin plane ich mein
Traumhaus", sagt sie. Neuerdings notiert die 30jährige aber auch
ganz andere Sachen: "Eine Liste, was ich alles machen möchte."
Denn Tine Lindemann kann zur Zeit gar nichts tun. Das Pfeiffersche
Drüsenfieber hat die Torfrau der deutschen Nationalmannschaft vorerst um
einen ihrer wichtigsten Lebensinhalte gebracht: Handball.
Nachdem sie bereits die EM abgesagt hatte, unterrichtete sie die
Öffentlichkeit. "Ich wollte stark sein und habe gekämpft, damit ich
die laufende Saison noch überstehe und mein Team nicht im Stich
lasse", heißt es da knapp, aber letztlich spiegeln die Worte das
eigentliche Dilemma kaum wider. "Körperlich", sagt Tine
Lindemann, "habe ich bisher selten meine Grenzen gespürt." Die
zeigt der großen Blonden nun allerdings ein kleiner Virus auf.
Hinterhältig raubt er die Kraft. Viel schlimmer als ein Nasenbeinbruch,
nach dem man im nächsten Spiel mit einer Gesichtsmaske auflaufen könnte.
Aber so gibt es kein Hilfsmittel, dabei hätte Tine Lindemann, die seit
zwei Jahren bei Randers HK beschäftigt ist, gerne geholfen, den
dänischen Erstligisten auf Kurs zu halten. Schließlich fehlt ihrem Klub
eine adäquate Vertretung. Seit September fühlte sie sich immer
schlechter, eine Untersuchung in Köln erklärte das Übel und beseitigte
die Zweifel derer, die der quirligen Frau "nicht glaubten, daß ich
krank bin". Auch deshalb quälte sie sich mit einem Pulsschlag
jenseits der 200 zwischen den Pfosten. Randers gelang es nicht, ein
Torfrau zu verpflichten. Nach kurzer Pause versuchte sich Lindemann
erneut, reiste nach Spanien ins Trainingslager, spielte dreimal - und das
verschlimmerte die Krankheit. An manchen Tagen schläft Sie 12 Stunden.
Manchmal kommt sie sich vor, wie ein "U-Boot, das tagelang
abtaucht" und die Gegenwart verpaßt. "Das sind schwarze
Löcher", erzählt sie. "ich habe dann in der Zeitung gelesen,
was alles geschehen ist."
Mittlerweile krabbelt sie sich voran, viele kleine Fortschritte, immer
wieder einige Rückschritte, die am Mut nagen, weil das Pfeiffersche
Drüsenfieber auch das normale Leben beeinträchtigt. "in die Stadt
gehen und zurück - das ist im Moment mein Highlight." Noch muß die
Nationalspielerin einfach warten, weil Sie das Immunsystem überlastet hat
und ihre eigene Abwehr nur ganz langsam aufbauen kann. In randers haben
sie ihr trotzdem einen vertrag für die kommende Saison angeboten, aber
Tine Lindemann lehnte ab. Weil sie spürt, daß sie das nächste Jahr
wahrscheinlich auch knicken kann.
Die Krankheit ist Teil von Tine Lindemanns Dasein geworden. Sie muß
damit zurechtkommen. "Mein ganzer Lebensrahmen ändert sich."
Der Rhythmus von Training, Regeneration und Wettkampf, das Wechselspiel
von Saison und Vorbereitung - alles weg und damit viel Zeit für ein
bürgerliches Leben. In Randers arbeitet die Diplom-Sportmanagerin im
Marketing eines Unternehmens, das Windkraftanlagen entwickelt. Im Mai will
sie nach Deutschland zurückkehren, sich irgendwo in Norddeutschland
niederlassen und einen der Jobs annehmen, die sie bisher zu Gunsten des
Sports ablehnte. "Irgendwann muß diese Krankheit doch mal vorbei
sein" sagt Tine Lindemann. "Ich warte."
Quelle: Handball Magazin 3/2001, Autor: Tim Oliver Kalle
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